Porsche in der Berg-Europameisterschaft 1957–1969 (1977)

Porsche treibt es auf die Spitze: Anfang September ’68 schieben die Werksmechaniker einen Bergrennwagen aus dem dunkelroten Transporter, der alle bisherigen Autos für diese Disziplin in den Schatten stellt. 

Die papierdünne, fast durchsichtige Karosseriehülle über dem Gitterrohrrahmen wiegt nur zehn Kilogramm und ist so fragil, dass sie dem Druck einer Hand kaum standhält. Beim vorletzten EM-Lauf der Saison am Gaisberg bei Salzburg steht der filigrane Leichtbau-Renner erstmals im Licht der Öffentlichkeit. Porsche macht seine Rennwagen immer schneller und leichter, beschleunigt seine Entwicklungsarbeit: Tüftelei in Topspeed.

ROSSSFELD 2018 | Trento-Bondone 1966 mit 910/8 (108) und 906 »Ollon-Villars« (112) von Gerhard Mitter

ROSSSFELD 2018 | Trento-Bondone 1966 mit 910/8 (108) und 906 »Ollon-Villars« (112) von Gerhard Mitter

Bei keinem anderen Porsche sind die Eigenschaften eines Bergrennwagens so ausgeprägt wie beim 909. Als letzter Bergrennwagen des Werks markiert er den Höhepunkt einer Ära zwischen 1958 und 1968, in der Porsche-Werksfahrer insgesamt acht Europameistertitel gewinnen. Die Antriebsquelle für die Sport-Prototypen, der aus dem Formel-1-Motor abgeleitete, luftgekühlte Achtzylinder-Boxer vom Typ 771 mit zwei Liter Hubraum, ist ab 1962 die Konstante. Er wird stetig weiterentwickelt und liefert in der letzten Stufe eine Literleistung von 139 PS. Bei der Entwicklung der Autos gilt das Hauptaugenmerk der Gewichtsersparnis und der Verbesserung der Gewichtsverteilung. Unter der Leitung des jungen Ingenieurs Ferdinand Piëch nimmt diese Arbeit deutlich Fahrt auf.

Dafür ist der 909 ein Paradebeispiel: Mit Leichtbau-Werkstoffen wie Beryllium, Silber und Titan wird Gewicht gespart. Neben den extrem teuren Bremsscheiben aus Beryllium, der Verkabelung aus Silber und der Silberbatterie steht das Tanksystem als Paradebeispiel für die Entwicklung. Der Tank besteht aus einer Titankugel, die den Gummitank umgibt. Vor dem Start wird der Raum zwischen dem 0,8 Millimeter dicken Titan und der vollen Gummiblase mit Stickstoff unter Druck (15 atü) gesetzt, dass die 14 Liter Benzin ohne Kraftstoffpumpe ins Einspritzsystem gepresst werden. Ersparnis gegenüber einem herkömmlichen System: sechs bis sieben Kilo. Um die 365 Kilogramm wiegt der neue Bergspyder – so leicht wie noch kein anderer Bergrennwagen.

Wie fanatisch Piëch überflüssige Pfunde jagt, zeigt eine Anekdote, die von Porsche-Mechanikern überliefert ist. Sie haben ihn dabei beobachtet, wie er abends mit einem großen Magneten nach verbliebenen Stahlteilen fahndete. Das berichtet der Journalist Eckhard Schimpf in seinem Buch »Porsche und Piëch«. Ferdinand Piëch selbst bezeichnet die Konzeption des 909 als »Hochgenuss an technischer Tüftelei«. Aber nicht nur das Gewicht an sich haben die Rennentwickler gesenkt, sondern auch dessen Verteilung verbessert. Umgeben von einem Hauch Karosserie und dünnen Alurohren sitzt der Fahrer im 909 extrem weit vorne, die Pedale liegen vor der Vorderachse. »Die Sicherheitsstandards waren absolut lächerlich.«, weiß Piëch fünf Jahrzehnte später und fügt an: »Für Unfälle waren damals nur Glück und Schicksal vorgesehen.«

Der Achtzylinder ist weiter Richtung Wagenmittelpunkt gerückt, das Getriebe ist vor dem Hinterachsdifferenzial montiert. Aus den zwei Litern Hubraum des aufwändigen Achtzylinders werden 275 PS gequetscht. In 2,5 Sekunden beschleunigt der 909 aus dem Stand auf 100 km/h, in der Spitze läuft er 250 km/h. Nur zehn Jahre liegen zwischen diesem extremsten Bergrennwagen seiner Zeit und den Vier-Zylinder-Spydern 550A und RSK, mit denen Wolfgang Graf Berghe von Trips 1958 den ersten Europameistertitel für Porsche gewann.

Die auf Naturstraßen ausgetragenen Bergrennen sind wie geschaffen für die leichten und wendigen Sportwagen aus Zuffenhausen. Zudem ist der Hubraum für die zweisitzigen Rennwagen in der Berg-Europameisterschaft auf zwei Liter beschränkt – 1958 für eine Saison sogar auf 1,5 Liter. Das bietet den Meistern des kleinen Hubraums aus Zuffenhausen perfekte Bedingungen. Meist verfügen sie über die am besten geeigneten Autos für die Bergsprints und haben zudem die besten Fahrspezialisten für diese Disziplin unter Vertrag. Zwei Piloten prägen die Ära: Edgar Barth (1917 bis 1965) beherrscht die Phase der Autos mit Aluminium-Karosserie, die im als »Großmutter« bezeichneten 718 W-RS gipfelt, der 17 Jahre jüngere Gerhard Mitter die Zeit der Rennwagen mit Kunststoffkarosserie. Beide Porsche-Piloten werden jeweils drei Mal Berg-Europameister.