Der Traum von der klassenlosen Gesellschaft

Die Geschichte der wohl legendärsten Tourenwagen-Serie der Welt begann mit typisch deutscher Gründlichkeit – mit einem »Konzept zur Wiederherstellung des Deutschen Motorsports«, das am 30. Mai 1983 von der Obersten Nationalen Sportkommission (ONS) präsentiert wurde. Der Hintergrund: Die über viele Jahre extrem populäre Deutsche Rennsport Meisterschaft (DRM) hatte sich mit dem Reglementwechsel zu den neuen Gruppe C-Sportwagen selbst ins Aus manövriert. Die spektakulären Boliden waren teils noch nicht verfügbar und darüber hinaus extrem teuer. Daraus resultierten schrumpfende Starterfelder, da die Kosten für den Renneinsatz in schier astronomische Höhen kletterten.

Als Ausweg aus dieser Krise wurde die Aufwertung der damals bestehenden Deutschen Automobil-Rennsport-Trophäe in eine nationale Produktionswagen-Meisterschaft (DPM) beschlossen. Ziel war ein Reglement für seriennahe Tourenwagen, die deutlich kostengünstiger sein sollten, als die hochgezüchteten Gruppe C-Monster. Als Basis diente die neuen FIA-Gruppe A-Fahrzeuge, wie sie in der Tourenwagen Europameisterschaft eingesetzt wurden. Anders als in der EM, wo in drei verschiedenen Hubraumklassen gefahren wurde, versuchte man in der DPM allerdings die Fahrleistungen auch bei unterschiedlichsten Motorisierungen durch Adaptierung der Fahrzeuggewichte und Reifenbreiten anzugleichen. Die Vorteile dieses Konzepts lagen auf der Hand: Für die Zuschauer sollte klar zu sehen sein, wer wirklich gesiegt hatte. Gewonnen hat jenes Auto, das als erstes über die Ziellinie fuhr – egal ob leichter Golf oder eine Wuchtbrumme à la Chevrolet Corvette mit mehr als doppeltem Hubraum.

In der Premierensaison 1984 durften sich die Serien-Verantwortlichen über ein spektakuläres Starterfeld freuen: Nicht weniger als 65 Fahrer in den Punkten, dazu 14 verschiedene Marken in der Wertung machen die hohe Akzeptanz der Serie deutlich. Bei Opel kamen sogar sechs unterschiedliche Modell zum Einsatz – vom kompakten Kadett GTE bis zum großen Monza. Nicht weniger als sieben verschiedene Autos konnten Siege verbuchen: Rover Vitesse, BMW 635 CSi, BMW 325i, Alfa Romeo GTV 6, Ford Mustang, Chevrolet Camaro und Volvo 240 Turbo. Den Sieg im allerersten Rennen, das ironischerweise nicht in Deutschland, sondern im belgischen Zolder über die Bühne ging, feierte der bis dahin weitestgehend unbekannte Schwede Per Stureson auf Volvo 240 Turbo. Mit fünf Siegen war Harald Grohs der dominierende Fahrer. Der Titel ging dennoch an den späteren Opel-Motorsportchef Volker Strycek auf einem BMW 635 CSi. Und das, obwohl dieser kein einziges Rennen für sich entschieden hatte.

Gewonnen hatte, wer als erstes über die Ziellinie fuhr!

ROSSSFELD 2018 | DTM 1986, Mainz-Finthen: Per Stureson im Volvo 240 Turbo im Duell mit einem BMW. | Foto: McKlein

ROSSSFELD 2018 | DTM 1986, Mainz-Finthen:
Per Stureson im Volvo 240 Turbo im Duell mit einem BMW. | Foto: McKlein

Die zweite Saison der DPM sieht sagenhafte 50 Fahrer in der Punktewertung – und nicht zuletzt aufgrund einiger Reglement-Nachbesserungen einen packenden Meisterschaftskampf bis zur letzten Kurve. Den Saisonstart im verregneten Zolder dominieren die favorisierten BMW-Coupés von Harald Grohs und Roverto Ravaglia, während die Volvo-Turbos, der Camaro von Peter John und der ARB-Mustang von Roland Asch den durch zwei Schikanen kaum entschärften Dreiecks-Kurs am Fliegerhorst Wunstorf unter sich ausmachten. Auf der Berliner Avus setzt Klaus Niedwiedz mit seinem Ford Sierra Turbo ein Ausrufezeichen. Wendigkeit ist bei der Hitzeschlacht auf dem US-Airfield Mainz-Finthen wichtiger als schiere Power. Der Sieger: Winfried Vogt in seinem BMW 323i. Eine schwedische Machtdemonstration folgt bei den beiden Läufen auf dem Fliegerhorst Erding: Bei der Hatz gegen den Uhrzeigersinn siegen Per-Gunnar Andersson und Heinz-Friedrich Peil mit ihren 240er-Turbos jeweils einmal. Beim Rennen in Diepholz sorgt das Gewichts-Reglement für Aufregung: Während die US-Hubraum-Monster und die Turbo-Volvos jeweils 75 kg dazubekommen, sollen der Rover und die BMW-Coupés um 50 kg leichter werden. Der Haken: Die Reglement-Änderung wurde nicht ordnungsgemäß 10 Tage vor Rennstart angekündigt, weshalb die ­Gewichtsrochaden schlussendlich auf das nächste Rennwochenende ein Zolder verschoben werden. Kurios: Rennleiter Peter Rupfkeil boxt eine Aufhebung der 100-Phon-Lautstärkenbegrenzung durch, um den Zuschauern vor Ort maximalen Soundgenuss zu garantieren. Der Haken an der Sache: Beide Läufe gewinnt Klaus Ludwig im vergleichsweise leisen ABR-Sierra XR4 Ti.

Auch in Zolder können die BMWs nicht vom neuen Gewichtsreglement profitieren und scheiden mit Defekten aus. Nutznießer ist wieder Klaus Ludwig, während der »Wikinger« Per Stureson trotz 100 Extrakilo an Bord als Dritter seine Meisterschafts-Chancen wahrt. Das Saisonfinale auf dem Nürburgring wird zum reinsten Krimi: Hobby-Rennfahrer Per Stureson reist wie immer auf eigener Achse vom schwedischen Malmö aus zum Rennen. Trotz eines Ischias-Syndroms stellt er seinen Turbo-Volvo auf Platz 5 in der Startaufstellung – direkt neben Titelkonkurrent Olaf Manthey. Während »König« Ludwig vorne einem weiteren Sieg entgegenfährt, kollidiert Stureson mit Volker Strycek und fällt scheinbar hoffnungslos zurück. Doch der Schwede schlägt zurück, rettet am Ende acht Punkte Vorsprung ins Ziel und wird DPM-Meister 1985. Aufgrund des noch verhältnismäßig niedrigen Turbo-Faktors von 1,4 gewinnen in sieben von neun Rennen Turbo-Autos.