Wenn jemand die Rallye Monte Carlo viermal gewinnt, dann ist das ohne Zweifel eine herausragende Leistung. Wenn jemand das auf vier verschiedenen Autos tut, dann kann es wohl nicht nur an der Maschine liegen. Es ist ein Mensch, der diese Autos dirigiert, balanciert, querstellt und um die Ecken jagt. Und dieser Mensch ist ein zweifacher Weltmeister, Vize-Weltmeister und Europameister, einer der ganz Großen im Rallyesport, ein »Genie auf Rädern«, la Grande Tube, wie ihn die Franzosen nennen, das große Rohr, die Italiener nennen ihn Il Grande Walter, der einzige deutsche Rallye-Weltmeister, Walter Röhrl.
Und trotzdem wollen wir hier vor allem über die Autos reden, deren Technik Walter nie wirklich interessiert hat, dafür umso mehr die Frage, was man tun muss, um ein Renn- oder Rallye-Gerät vollkommen zu beherrschen, wie man mit einem Auto schneller fährt als alle anderen. Und zwar nicht nur ein wenig schneller. Es geht darum, nicht bloß mit einer Sekunde Vorsprung zu gewinnen, sondern mit zehn Minuten Vorsprung, sagt er. Der Beste sein, eine perfekte Rallye fahren, egal, auf welchem Auto. Wer mit einem Fiat 850 Coupé bei einer Sonderprüfung von 300 Teilnehmern die sechstschnellste Zeit fährt, obwohl das Motörchen nur 47 magere PS leistet, der muss schon ein außergewöhnliches Talent besitzen. In den 1970er und 1980er Jahren, als man zum Beispiel bei der Rallye Akropolis 48 Stunden faktisch ohne Pause am Steuer saß, musste man körperlich fit sein, um sich total konzentrieren zu können.
Bei einer Rallye konnte man ein Supertalent noch demonstrieren. Auf der Rundstrecke aber gewinnst du mit einem schwachen Auto keinen Blumentopf, da brauchst du Dampf unter der Haube. Wohl auch deshalb wurde Walter Röhrl Rallyefahrer, obwohl er ja ursprünglich Skirennläufer werden wollte. Ein komplizierter Beinbruch machte ihm einen Strich durch diese Rechnung. Sein unheimliches Balancegefühl, das er beim Skifahren zeigte, übertrug er eins zu eins auf das Rallyefahren. Auch beim Skifahren stellst du die Ski quer, um Geschwindigkeit wegzunehmen. So stellte er das Auto quer, um so schnell wie möglich durch die Kurven zu kommen, ohne viel Reibungsverlust, elegant und präzise.
Röhrl fuhr auch immer wieder Rennen, von Anfang an, etwa 1977 am Norisring mit einem Schnitzer-BMW 2002, 1979 im Lancia Beta in Brands Hatch. Gegen Ende seiner Laufbahn saß er für Audi im TransAm 200 Quattro und im Audi 90 quattro IMSA. Es machte aber nicht soviel Spaß wie das Rallyefahren. Für ihn war es das Höchste, mit einem Rallyeauto über Kuppen zu fliegen, sich mit 200 über zwei Meter schmale Waldwege zu pfeilen, im Winter auf Eis und Schnee zu wedeln. Und noch etwas spricht für Rallyes: Du hast alle Hände voll zu tun, wenn du im Rallyeauto sitzt. Arme, Beine und Füße sind in ständiger Bewegung. Du bist permanent am Limit, mental wie körperlich. Am Ende einer Sonderprüfung bist du völlig ausgelaugt. Im Rennwagen denkst du auf einer Geraden, auf der du kurz verschnaufst, auch wenn du 250 fährst, daran, was beim Anbremsen alles brechen könnte und was passiert, wenn ein Reifen platzt; im Rallyewagen hast du dazu auch bei 160 keine Zeit.
Viel hängt vom Auto ab. Ob du dich in ihm wohlfühlst, ob es sich leicht oder schwer fährt, ob du elegant unterwegs bist — wie mit dem Lancia 037 — oder ob du die Brechstange auspacken musst, damit du ums Eck kommst — wie mit dem Audi Quattro. Röhrl sagt, ihm gehe der technische Verstand ab. Im selben Atemzug aber meint er, er sei so gut gewesen, weil er ein untrügliches Gefühl für das Auto gehabt habe, er habe gespürt, was es genau machte, und habe sich darauf eingestellt. Als Röhrl sich dazu entschloss, ab 1984 für Audi zu fahren, wurde erstmals seine feste Überzeugung in Frage gestellt, dass er deshalb gewinne, weil er besser Auto fahren konnte; bei Audi hieß es nämlich, die Leute gewinnen, weil das Auto so gut ist. Das wollen wir doch einmal sehen. Er wollte immer den besten Fahrer im gleichen Auto schlagen, und diese Chance bot sich ihm hier, er wollte den King auf Schnee und Eis, den Schweden Stig Blomquist, »bügeln«.
»Ein Auto ist erst dann schnell genug, wenn man morgens davor steht und Angst hat, es aufzuschließen!«
Was uns hier interessiert, das ist zunächst die Frage, welche Autos Röhrl in seiner professionellen Rallye-Karriere zwischen 1973 und 1987 fuhr. Wir sind schnell unterwegs, wir werden keine Zeit haben, auch noch einen Blick auf die Geräte zu werfen, die er von 1988 bis 1994 und manchmal parallel als Rallyefahrer auf den Rennstrecken bewegte. Also muss ich andere Quellen studieren, wenn ich etwas über den Lancia Beta Montecarlo wissen will, mit dem er 1979 mit Gilles Villeneuve und Christian Geistdörfer den Giro d’Italia beinahe gewonnen hätte und 1980 zusammen mit Riccardo Patrese die 6 Stunden von Brands Hatch dann tatsächlich gewann; wenn ich Infos suche zum Porsche 935, den er mit Harald Grohs und Dieter Schornstein in Silverstone oder am Nürburgring bewegte; oder wenn ich wissen will, wie sich der weiße Porsche 924 GTR fuhr, den er 1981 mit Jürgen Barth bei den 24 Stunden von Le Mans steuerte. Auch die amerikanische IMSA-Serie und die TransAm-Rennen tauchen hier nicht auf. Aber dafür gibt es am Ende vielleicht ein kleines Bonbon. Jetzt aber wollen wir wissen: Welche Autos mochte er und welche eher nicht? Wie fuhren sie sich? Wie gut oder schlecht waren sie? Wie zuverlässig oder wie frustrierend? Über welche hat er sich bodenlos geärgert und welche gaben ihm das Gefühl, dass sie genau die Geräte waren, die seinem Talent entsprachen?
Das hier wird also keine Liste aller von Röhrl je gefahrenen Fahrzeuge. Wir stürzen uns lieber auf die Rosinen im Kuchen, die auch Röhrl selbst am meisten mochte. Und wir wollen hören, was er selbst über die Autos sagt, die ihm Ford, Fiat, Opel, Audi, Porsche zur Verfügung stellten. Wo aber anfangen? Bei seinem allerersten Fahrzeug, mit dem er eine Rallye bestritt? Dem Fiat 850 Coupé, mit dem er 1968 die Teilnehmer der Bavaria-Rallye zusammen mit seinem Freund Herbert Marecek am heißen Sitz aufschreckte? Oder gehen wir ganz an den Anfang zurück, ins Jahr 1954, als der Siebenjährige erstmals am Steuer eines Autos saß, einer bieder-behäbigen Limousine namens Fiat 1400, mit der er seinen angesichts des »fahrerlosen« Fiat vor Staunen wie angewurzelten Steinmetz-Vater bei einem Geschäftstermin an einem Steinbruch im bayerischen Wald abholte?
Seine ersten »Sonderprüfungen« absolvierte der kleine Walter zum Zeitvertreib auf tief verschneiten und vereisten Hohlwegen, während sein Vater ausgiebig dem Eisstockschießen frönte. Dieser erste Fiat mit selbsttragender Karosserie war Walter Röhrls erstes Auto; wer weiß schon, dass es das letzte eines anderen Großen des Motorsports war, nämlich von Tazio Nuvolari? Eine Familienkutsche, komfortabel, gemächlich, brav, à la Americano, vier Türen, vier Zylinder, Lenkradschaltung, starre Hinterachse, Handbremse über Seilzug, in der ersten Version von 1950 lagen 44 PS bei 4400 U/min an, Höchstgeschwindigkeit 120 km/h, Verbrauch 10,5 l/ 100 km, Leergewicht 1130 kg. Wie es sich fuhr, wenn der kleine Walter durch den Winterwald tobte, ist leider nicht überliefert. Aber der Fiat war halt Vaters Auto. Röhrls erstes eigenes Auto war ein gebrauchter, weißer Porsche 356 C ohne Motor, den er sich 1967 auf Anraten seines Bruders Michael (»kauf da a g’scheit’s Auto!«) zusammensparte und von Toni Fischhaber in Bad Tölz um 6000,– DM erstand. Ein Vierzylinder (75 PS, Spitze 175 km/h, Scheibenbremsen) von seinem Bruder stand noch in der Garage, der wurde eingebaut. Vier Jahre lang hütete er dieses Auto wie seinen Augapfel…