Von Tourenwagen bis zu Gruppe-B-Monstern
Eines Tages überreichte mir mein Vater mit wichtiger Miene eine Karte im Postkartenformat. Darauf war ein gelb-schwarzer Opel Ascona zu sehen, auf der linken Seite die kleinen Porträts von Walter Röhrl und Jochen Berger. Dieser Moment war meine erste Begegnung mit dem Thema Rallye. Was diese beiden Herren, die auf der Karte abgebildet, mit dem Ascona so trieben, konnte ich mir damals an einem Wintertag 1974 noch nicht vorstellen. Als mein Vater das Wort »Europameister« sagte, wuchs meine Ehrfurcht. Und meine Neugier war geweckt.
Nach dem ersten Gesamtsieg beim griechischen Weltmeisterschaftslauf, der Rallye Akropolis 1975, wurde es etwas ruhiger um Walter Röhrl. Dann kam die Rallye Monte Carlo zum Saisonstart des Jahres 1980, die der Regensburger mit seinem Copiloten Christian Geistdörfer in einem schneeweißen Fiat 131 Abarth gewann. Ein spektakulärer Erfolg: Die Vorjahressieger Bernard Darniche und Alain Mahé im Lancia Stratos als schnellste Verfolger distanzierten sie um über zehn Minuten.
Wie viele Motorsportfans im deutschsprachigen Raum wie in ganz Europa folgte ich den Heldentaten des Rallyeduos. Es feierte nicht nur zwei Weltmeistertitel und gewann insgesamt vier Mal die Monte, von 1982 bis 1984 sogar drei Mal in Folge, sondern startete auch in den meisten Auto-Ikonen dieser Ära vom herkömmlichen Hecktriebler Opel Ascona über den Lancia Rally 037 bis zum legendären Flügel-Quattro.
Das Spektakel endete jäh im Jahr 1986, weil nur noch eine kleine Elite der Fahrer die Gruppe-B-Raketen überhaupt auf Kurs halten konnten. Zusammen mit der fehlenden Sicherheit für Fahrer und Beifahrer wie auch für die Zuschauer an den Wertungsprüfungen bildete sich eine toxische Mischung.
»Diese Sprüche von früher… Wenn Du es im Hintern fühlst, hast Du in Deinem Leben zum letzten Mal etwas gefühlt. Dann bist Du nämlich schon weg von der Straße.« Walter Röhrl in einem Interview mit Helmut Deimel
Ab 1987 waren alle der leistungsstarken Gruppe-B-Monster im Rallyesport verboten. Eine Denkpause, um im großen Geschichtsbuch des Rallyesports zu blättern. Die Ursprünge reichen bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Den Grundstein legte aber nicht die Rallye Monte Carlo, die allgemein als Mutter aller Rallyes bezeichnet wird. Der Weg führt vielmehr nach Bayern und hier zum autobegeisterten Maler Herbert von Herkomer. Er gab den Anstoß zur Herkomer-Konkurrenz.
Die erste »Tourenfahrt über ca. 1000 Kilometer für Automobile aller Art auf Landstraßen jeder Beschaffenheit« wurde im August 1905 mit Start und Ziel in München ausgetragen. An drei Tagen führte die Route über eine Strecke von insgesamt 937 Kilometern über Augsburg, Baden-Baden, Nürnberg und Regensburg zurück in die Metropole an der Isar. 91 Autos starteten bei dieser ersten »Tourenwagen-Rallye der Welt«
Der Gesamtsieger Edgar Ladenburg, ein Bankierssohn, gewann aber nicht durch schnelle Fahrzeiten auf den einzelnen Streckenabschnitten, sondern durch die Zuverlässigkeit und den Komfort seines Autos. Für technische Defekte oder Reifenpannen gab es Strafpunkte, die ein im jeweiligen Auto mitfahrender Kontrolleur festhielt. Über die Gesamtwertung entschied schließlich eine Jury. Kritik an der Gesamtwertung war vorprogrammiert. Bei der dritten und zugleich letzten Herkomer-Konkurrenz 1907 entschieden dann auch Geschwindigkeits- und Bergwertungen über die Platzierungen in der Gesamtwertung.
Im Januar 1911 wurde die erste Rallye Monte Carlo ausgetragen. Ziel für die Sternfahrt aus mehreren europäischen Städten war das Fürstentum an der Cote d’Azur, das auf diese Weise im Winter einige betuchte Gäste anlockte. Diesen Modus behielt die Rallye bis in die 90er-Jahre bei, zuletzt nur noch für die Privatteams. Ähnlich wie bei der Herkomer-Konkurrenz gab damals letztlich der Zustand des Autos, seine Zuverlässigkeit und sein Komfort nach der Zielankunft ab dem 28. Januar den Ausschlag über die Platzierungen. Die Schnelligkeit eines Autos floss erst nach und nach in die Wertung ein.
Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur modernen Rallye war die Einführung der Rallye-Europameisterschaft 1953. Die Monte mit einem Rekordstarterfeld (404 Teams)bildete den Auftakt dieses Championats für Fahrer, welches für über 25 Jahre die bedeutendste Rallyemeisterschaft für Fahrer blieb. Den Saisonauftakt gewann der Niederländer Maurice Gatsonides mit einem Ford, die Meisterschaft allerdings der Deutsche Helmut Polensky mit seinem Porsche 356. Im Jahr darauf wird bei der Monte eine Sprintprüfung über 12 Kilometer am Col des Lecques ausgetragen – die erste Spezialprüfung auf Zeit in der Art der heutigen Wertungsprüfungen.