In Erinnerung an Lodovico Scarfiotti (1933–1968), der am 8. Juni 1968 beim 2. Training für den Alpenbergpreis Roßfeld tödlich verunglückte.

Als der ehemalige Ferrari-Star aus Turin, der zweifache Europa-Bergmeister, Le-Mans-Sieger und Formel-1-Grand-Prix-Sieger Lodovico “Lulu” Scarfiotti am 1. Januar 1968 beim GP von Südafrika im Cockpit seines Cooper-Maserati aufgrund eines Wasserleitungsbruchs schwere Verletzungen erlitt, wird man dieses Unglück im Nachhinein als böses Omen deuten. Scarfiotti musste zwei Monate in einer Klinik in Johannesburg verbringen, bevor er nach unzähligen Operationen seiner durch 120 Grad heißes, chemisch versetztes Wasser verwüsteten Haut durch plastische Chirurgen in sein Haus in Porto Recanati entlassen wurde. Dort sollte er sich erholen, bevor er nach Sebring fliegen musste, um seinen Verpflichtungen für seinen neuen Dienstgeber, Porsche Stuttgart, beim 12-Stunden-Rennen nachzukommen. Mehrmals hatte Huschke von Hanstein, der Porsche-Rennleiter, angerufen, um sich über Scarfiottis Gesundheitszustand zu informieren. Laut Vertrag hätte er ja schon beim 24-Stunden-Rennen von Daytona am 3./4. Februar die Porsche-Mannschaft verstärken sollen. Auch ohne Scarfiotti fuhren die Stuttgarter einen Dreifach-Sieg ein.

Scarfiotti sollte mit Mitter und Stommelen die Konkurrenz in Grund und Boden fahren …

Scarfiotti unterschrieb bei Porsche für Sportwagenrennen mit den Achtzylinder-Prototypen 907/2,2 l und 908 sowie für die Läufe zur Europa-Bergmeisterschaft mit dem 910/8 Bergspyder, der in der Saison 68 mit Gerhard Mitter, Rolf Stommelen und der italienischen Neuerwerbung die Konkurrenz – so es denn überhaupt eine gab – in Grund und Boden fahren sollte. Der Vertrag mit Porsche hatte Priorität bei jeglichen Überschneidungen mit Scarfiottis Formel-1-Einsätzen für Cooper.

ROSSSFELD 2018 | Lodovico Scarfiotti 1966 im Gespräch mit gipsbefußtem Gerhard Mitter. Scarfiotti stand damals noch bei Ferrari unter Vertrag.

Lodovico Scarfiotti 1966 im Gespräch mit gipsbefußtem Gerhard Mitter. Scarfiotti stand damals noch bei Ferrari unter Vertrag.

Das Jahr 1968 brachte gesell­schaftspolitisch in Mitteleuropa eine Zeitenwende. Der Aufstand der Studenten gegen das »Establishment« in den Schulen und an den Universitäten galt dem Kampf gegen alles Verzopfte, Althergebrachte, Verkrustete. Es war ein Aufstand der Söhne gegen die Väter, eine Revolte gegen die »Talare, unter denen der Muff von 1000 Jahren« waberte, ein Aufbruch zu neuen Ufern des Geistes, ein Appell, sich endlich der Vergangenheit zu stellen und über zwei Jahrzehnte nach Ende des 2. Weltkriegs einen Neuanfang zu wagen.

Das Motorsportjahr 1968 sollte eines der blutigsten und schrecklichsten in der Geschichte dieses Sports werden: Die Zahl der tödlichen Unfälle stieg Monat für Monat an, beginnend im April mit Jim Clarks Todessturz in Hockenheim, setzte sich im Mai mit Mike Spence in Indianapolis fort; im Juni traf es Scarfiotti, im Juli Jo Schlesser in Rouen und Chris Lambert in Zandvoort, Ende August starb der junge Holländer Ab Goedemans im Training zum 500-km-Rennen am Nürburgring.
Vor diesem Hintergrund zeichnen wir die immer wieder von technischen Gebrechen beeinträchtigte Saison des charismatischen Gentleman nach, der in diesen letzten fünf Monaten seines Lebens auch von traumatisierenden privaten Problemen bedrängt war. Seine Ehe mit Nicoletta Giardi – die beiden heirateten 1956 – der die beiden Söhne Luigi und Edoardo entstammen, bestand seit längerem nur mehr auf dem Papier.

Die beiden versuchten vergeblich, diesen unseligen Lebensbund vom Vatikan für null und nichtig erklären zu lassen, was im katholischen Italien in den sechziger Jahren so gut wie aussichtslos war. Lulu hatte ca. 1964/65 seine Jugendfreundin, die nunmehrige junge Witwe Ida Benignetti, kurz nach dem Tod ihres Mannes wieder getroffen; die zwei verliebten sich ineinander. Ida hatte ein brandneues Fiat 2300 Coupé gekauft und war damit zu einem Restaurant am Meer gefahren, um Lodovico zu treffen. Er bot ihr an, ihr die Finessen sportlichen Fahrens beizubringen, und wer hätte den Fahrkünsten eines Grand-Prix-Siegers misstraut oder widerstanden?

Der Rosenkrieg im Hause Scarfiotti

Von dem Moment an, so wird kolportiert, gab es kein Zurück mehr. Sie begleitete ihn zu den Rennen, vermutlich auch zu seinem letzten. Der Rosenkrieg im Hause Scarfiotti eskalierte Ende Mai, als seine wütende Gattin vor einem Mailänder Gericht mehr Geld (mindestens 600.000 Lire pro Monat) von ihrem seit vier Jahren angeblich ein luxuriöses Lotterleben mit der Geliebten genießenden Ehemann forderte, für sich und die beiden kleinen Buben. Ursprünglich habe man vereinbart, dass man sich im Frieden trennen wolle, Scarfiotti sorge für den Unterhalt der beiden Buben, Luigi (acht Jahre) und Edoardo (zehn Jahre) und zahle 350 000 Lire pro Monat an Nicoletta, während sie in der römischen Wohnung, die sie beide gekauft hatten, wohnen werde. Nun aber, seit ihr Mann die Zahlungen eingestellt habe und Ida in der Öffentlichkeit die Ehefrau spiele, wolle sie die Situation nicht länger hinnehmen. Sie wolle daher eine Scheidung zuschulden ihres Mannes. All das spielte sich vor Gericht am 29. Mai ab, gut eine Woche vor dem tragischen Unfall am Roßfeld.

Dass sich diese Umstände gravierend auf die Psyche eines Rennfahrers auswirkten, dessen zwar gut dotierte, aber außergewöhnlich gefährliche Arbeit als Werksfahrer ein Höchstmaß an Konzentration erforderte, ist wohl unbestritten. Die Familie Scarfiotti wird wenig Verständnis für das Verhalten ihres berühmten Sohns aufgebracht haben, auch wenn es die Ehefrau war, die die Schmutzwäsche öffentlich wusch. Doch ihr galt das Mitleid, sie war die Betrogene und Verlassene.

ROSSSFELD 2018 | Im März 1968 zu Testfahrten am Nürburgring.

Im März 1968 zu Testfahrten am Nürburgring.

Nach der Rekonvaleszenz in der Villa der Familie in Torrenova in der Provinz Potenza Picena, meistens als »Porto Recanati« bezeichnet, während der er nach London und nach Stuttgart eilte, um sich mit dem Cooper F1 und dem Porsche 907 vertraut zu machen, brach er am 22. März nach Florida auf, um am nächsten Tag auf der Rumpelpiste des alten Flughafens in Sebring mit dem Amerikaner Joe Buzzetta das Cockpit des 907 zu teilen. Nach Platz acht im Training brach im Rennen schon nach sieben Runden eine Ventilfeder: Motorschaden, Ausfall. Siffert/Herrmann siegten vor Elford/Neerpasch. Auch Mitter/Stommelen fielen aus.
Schon am 17. März hätte er in Brands Hatch beim Race of Champions den neuen Cooper-BRM pilotieren sollen, sah sich aber dazu außerstande, sodass sein Kollege Brian Redman einsprang und das Auto auf einen – durchaus erfreulichen – 5. Platz fuhr.

Am 7. April, als Jim Clarks Lotus 48 bei einem Formel-2-Rennen im badischen Hockenheim, vermutlich wegen eines Reifenschadens, an einem Baum zerschellte, erzielte Scarfiotti beim 500-Meilen-Rennen in Brands Hatch einen exzellenten 2. Platz für Porsche, gemeinsam mit Gerhard Mitter, nur geschlagen von Ickx/Redman im Ford GT 40. Es sollte Scarfiottis bestes Resultat in der Saison bleiben, ex aequo mit dem 2. Platz beim EBM-Lauf in Spanien. Nach sechs Stunden trennten die beiden Porsche-Piloten nur 22 Sekunden vom Sieg.

Am 25. April waren die beiden in Monza im 1000-km-Rennen von einem solchen weit entfernt, es reichte nur zu einem 11. Platz, als sich Mitter/Scarfiotti nach 84 (von 100) Runden im debütierenden Porsche 908 Langheck nach mehreren Boxenaufenthalten ins Ziel schleppten.

Leider sollte es in dieser Tonart weitergehen: Auf Sizilien führten Scarfiotti/Mitter bis zur Halbzeit, bevor sie den 907/8-Zylinder abstellen mussten. Nachdem Scarfiotti im Training den 907 verschrottet hatte, legte er im Ersatzwagen gleich zu Anfang unwiderstehlich los und fuhr einen beeindruckenden Vorsprung auf Lokalmatador Vaccarellas Alfa 33/2 heraus, ehe er an Mitter übergab. Dieser konnte erst nach endlosen Sekunden an der Box, als sich der Wagen nicht starten ließ, entnervt abrauschen. Brems- und Kupplungsprobleme hinderten ihn daran, die verlorene Zeit rasch gutzumachen, bevor er anfangs der 7. Runde, noch immer in Führung liegend, wegen einer defekten Benzinpumpe aus dem Rennen geworfen wurde. Scarfiotti hatte getan, was er konnte.