Im Vorfeld dieses denkwürdigen Rennens schrieben die Zeitungen vor allem über den Italiener Lodovico Scarfiotti, Europa-Bergmeister 1962 und 1965, der mit dem Einsitzer-Dino 206 S, dem sagenhaft schnellen kleinen Ferrari, welcher beim 1.000-km-Rennen am Nürburgring am 5. Juni 1966 hinter dem wesentlich stärkeren Chaparral 2D von Bonnier/P.Hill hervorragender Zweiter geworden war, nach fast 7 Stunden in der »Grünen Hölle« der Eifel weniger als eine Minute zurück, nach Berchtesgaden kam. Bloß eine Woche später wurde dort der 8. Alpenbergpeis ausgetragen und Scarfiotti dort zum Favoriten gestempelt. Das verwundert ­niemand, denn er kam als Europa-Bergmeister nach Berchtesgaden und niemand rechnete ernsthaft damit, dass ihm der erst kürzlich schwer verunglückte Porsche-Werkspilot Gerhard Mitter Paroli bieten konnte, war doch der Böblinger Konstrukteur und Tuningspezialist durch einen Gipsfuß schwer beeinträchtigt.

Doch Mitter war ein Mann, der nichts dem Zufall überließ und exakt auslotete, wie es um seine Chancen stand. Er hatte wohl die Niederlagen in der Europa-Bergmeisterschaft 1965 gegen Scarfiotti nicht wirklich verdaut. Er war davon überzeugt, der Beste am Berg zu sein. Als er im Training zum 1.000-km-Rennen von Spa am 22. Mai wegen nicht ordnungsgemäß fixierten Heckpartie an seinem Carrera 6 mit der Nummer 10 von der Strecke flog und gegen einen Felsen prallte, erlitt er schwere Verletzungen, unter anderem am linken Bein. Das bedeutete normalerweise, dass er bei der drei Wochen später beginnenden EBM kaum von Anfang an dabei sein konnte. Sein linkes Bein lag in Gips, ein Horrorunfall wie dieser —Bruce McLaren starb im Juni 1970 nach einem ähnlichen Defekt — hinterließ nicht nur tiefe Spuren in der Psyche des Fahrers, sondern auch auch erhebliche Schmerzen aufgrund der Prellungen und Blutergüsse.

Aber Mitter war zäh und ungemein ehrgeizig, er wollte sich partout nicht unterkriegen lassen. Er war hart gegen sich selbst und testete ein paar Tage vor dem Roßfeldrennen am Hockenheimring, ob eine von den Porsche-­Ingenieuren in Zuffenhausen gefertigte Polyester-Prothese für seinen vergipsten Kupplungsfuß eine brauch­bare Lösung für die Belastungen darstellte, denen ein solch geschwächtes Bein unter Rennbedingungen ausgesetzt war. Man hatte schon im Porsche-Werk die nötige Kraft für den Fuß mit 58 kg eruiert und dann in der Versuchsabteilung eine Kunststoffmasse über den Gehgips geschmiert, der sonst höchstwahrscheinlich zerbröckelt wäre. Mitter wusste, dass die Prothese ihren Zweck erfüllen würde, dennoch konnte niemand sagen, ob die Schmerzen während des Rennens nicht zu groß sein würden. Dazu kam eine Bänderzerrung im rechten Fuß, die äußerst schmerzhaft war. Wie also sollte ein Fahrer unter diesen Bedingungen einen Rennwagen steuern können, geschweige denn ihn so fahren, wie man das von einem Profi gewohnt ist?

Im Training fuhr Mitter — einerseit wegen der Schmerzen, andererseits wegen der Aggression eines Mannes, der seinen Kritikern zeigen wollte, aus welchem Holz er geschnitzt war — mit einem Messer zwischen den Zähnen eine Zeit von 3:03,0 Minuten. Der offizielle Vorjahresrekord stand auf 3:07,5 Minuten! Scarfiotti kam auf 3:06,8. Wollte der Champion seine Karten noch nicht ganz aufdecken? Nicht wirklich. Es gab Probleme mit der Einspritzung am Dino, die am Renntag aber nicht mehr auftreten sollten. Dafür sorgten die fleißigen Ferrari-Mechaniker.

Aber Mitter war nicht unterzukriegen: Nach 3:01,29 Minuten steigerte er sich im zweiten Lauf noch und legte — angesichts der oben geschilderten Begleitumstände unglaubliche — 3:00,43 vor. Wenn etwas zum Mythos des Roßfeldrennens beitrug, dann war es in nicht unwesentlichem Maß dieses Rennen am 12. Juni 1966, als mehrere Einträge ins goldene Geschichtsbuch des Motorsports fällig wurden. Für die Liebhaber von Zahlen und Fakten: Der Gesamtschnitt Mitters betrug laut SAMTC 117,245 km/h. Die Kooperation mit den Salzburgern funktionierte auch an diesem Wochenende tadellos…

Mehr lesen im Buch »Mythos Rossfeldrennen« von Dr. Siegfried C. Strasser